Einkommenseffekte der Flüchtlingskrise: Eine Pi-mal-Daumen-Rechnung

Im Jahr 2015 erreichte die Immigration nach Österreich einen Höchststand. Der Nettozuzug betrug ca. 113.000 Menschen, fast doppelt so viele Menschen wie im Jahr davor. Davon kamen 75.650 Menschen aus sogenannten Drittstaaten, der Rest aus der EU und assoziierten Saaten wie der Schweiz. Hauptgrund dieses Anstiegs war natürlich die Flüchtlingskrise, die riesige politische und mediale Aufmerksamkeit bekam. Zu den vielen heißen Themen in diesem Zusammenhang gehört die Frage nach den wirtschaftlichen Auswirkungen der Immigration. Weil ich im kommenden Semester eine Vorlesung in internationaler Ökonomik halten werde, dachte ich es wäre nützlich sich einmal anzusehen was das Lehrbuch zu dieser Frage beizutragen hat.  Also habe ich folgende vom Lehrbuch inspirierte Pi-mal-Daumen-Kalkulation aufgestellt.

Das Bruttoinlandsprodukt Österreichs im Jahre 2015 betrug 339.896 Mio. Euro und die Zahl der Erwerbstätigen 4.148.400. Die Lohnquote betrug 69 Prozent. Unterstellen wir, dass Österreich eine Cobb-Douglas-Produktionsfunktion mit einer Arbeitselastizität von 0,69 aufweist. Des weiteren gehen wir in üblicher Lehrbuchmanier davon aus, dass alle Immigranten in den Arbeitsmarkt integriert werden und vollkommener Wettbewerb herrscht.

Konzentrieren wir uns auf die 75.650 Einwanderer aus Drittländern. Diese Menschen kommen zum überwiegenden Teil aus armen Ländern, sind relativ jung und bringen daher wenig Kapital mit. Wir behandeln daher diesen Zustrom als reine Verschiebung des Arbeitsangebots — und zwar von 1,82 Prozent der Erwerbstätigen.

Gegeben unsere unterstellte Produktionsfunktion würde das zu einem Anstieg des BIPs von 4.265 Mio. Euro bzw. 1,25 Prozent (= 0,69 x 1,82) führen. Das ist schon mal keine Kleinigkeit! Nur zum Vergleich: Der Effekt des Handelsabkommens TTIP aufs BIP wird auf 0.5 Prozent geschätzt.

Wie verteilt sich dieser Gewinn auf verschiedene Bevölkerungsgruppen?

Zusätzliche Arbeitskräfte führen zu einem niedrigeren Grenzprodukt der Arbeit und daher zu sinkenden Löhnen. Unter meinen Annahmen sinkt der Lohnsatz um 0,56 Prozent (= (1-0.69) x 1.82). Das geht primär zulasten der heimischen (also nicht zuwandernden) Arbeiter, deren Gesamteinkommen somit um 1.310 Mio. Euro sinkt (= -0,0056 x 0,69 x 339.896 Mio.). Die Gewinner sind die heimischen Bezieher von Kapitaleinkommen und anderen Einkommensarten außer Löhnen. Ihr Gewinn ergibt sich zum einen daraus, dass sie die heimischen Arbeiter billiger beschäftigen können, zum anderen (kleineren) Teil aus der Möglichkeit, die zugewanderten Arbeitskräfte gewinnbringend zu beschäftigen. Insgesamt entsteht ihnen so ein Einkommenszuwachs von um 1.322 Mio. Euro (=0,31 x 4.265 Mio.). Das ist ein durchaus beträchtlicher Einkommenstransfer innerhalb der heimischen Bevölkerung — so als würde jeder österreichische Arbeiter mit einer Steuererhöhung von 300 Euro pro Jahr belastet, deren Ertrag zur Gänze an Kapitalbesitzer fließt.

Unterm Strich bringt die Zuwanderung der heimischen Bevölkerung also ein kleines Einkommensplus von 12 Mio. Euro (= 1.322 – 1.310 Mio.), sodass der der Großteil des BIP-Zuwachses (4.243 Mio. Euro) an die Zuwanderer selbst fließt. Das ist natürlich eine direkte Folge der Annahme vollständiger Konkurrenz am Arbeitsmarkt, die impliziert, dass jeder ungefähr das verdient, was er zum BIP beiträgt.

Also fassen wir zusammen: Die Eingliederung der Immigranten in den Arbeitsmarkt bewirkt einerseits einen spürbaren Anstieg des BIPs, andererseits eine Umverteilung von heimischen Beziehern von Arbeitseinkommen hin zu heimischen Kapitaleinkommen. Diese Rechnung ist selbstverständlich nur als erster Anhaltspunkt zu verstehen und soll nur dazu dienen einmal die Größenordnungen abschätzen zu können. Aller Vereinfachungen zum Trotz glaube ich, dass die grobe Richtung, in die diese Kalkulation deutet, richtig ist.

3 thoughts on “Einkommenseffekte der Flüchtlingskrise: Eine Pi-mal-Daumen-Rechnung

  1. Mir gefällt der Beitrag aus 3 Gründen sehr gut. Erstens zeigt er welches ökonomische Potential approximativ in der Zuwanderung/Aufnahme von Asylwerbern liegt. Dass dies natürlich eine erfolgreiche Integrationspolitik, einen funktionierenden Arbeitsmarkt uvm. voraussetzt ist ein anderes Thema. In der gesamten Diskussion um die “Flüchtlingskrise” gehört die Frage nach dem Wachstumspotential aber jedenfalls auf den Tisch. Zweitens erklärt er überzeugend welche Bevölkerungsgruppen ein unmittelbares ökonomisches Interesse an Immigration/Gewährung von Asyl sowie an der Öffnung der Arbeitsmärkte haben und welche eben nicht. Dies rückt einige Aussagen von gewissen Interessensvertretungen zum Thema ins rechte Licht. Darauf aufbauend zeigt er auch, dass aus rein ökonomischen Gesichtsgründen ein Teil des jüngsten Wahlverhaltens durchaus rational ist – ein Thema mit dem sich eine „erfolgreiche“ Integrationspolitik wohl auseinandersetzen wird müssen. Und last but not least zeigt er wie man mit stark simplifizierten Modellen wie wir sie häufig verwenden und lehren zur Diskussion komplexer Themen beitragen kann.

  2. Hallo Max. Das ist tatsächlich ein schönes Beispiel für die praktische Anwendbarkeit der Modelle, welche im Studium gelehrt werden.
    Jedoch bin ich der Meinung, dass du zu wenig auf die langfristige Natur des unterstellten Modells hinweist. Zusätzlich ist deine Annahme der Erwerbstätigkeit aller zugewanderten Personen unrealistisch.
    Tatsächlich lag die Erwerbsquote der Nicht-EU BürgerInnen zwischen 18 und 65 Jahren in Österreich im Jahr 2015 bei 65,9% und somit rund 15% unter jener von InländerInnen (Quelle: Eurostat). Zusätzlich betrug die Arbeitslosenquote der Nicht-ÖsterreicherInnen in Österreich im Jahr 2015 13,5%, jene der ÖsterreicherInnen 8,1% (Quelle: AMS). Auch wenn die geringere Erwerbsquote und die höhere Arbeitslosigkeit der zugewanderten Personen unberücksichtigt bleibt, sollte von einer Erwerbsquote von maximal 50% (was auch der Quote der beschäftigten ÖsterreicherInnen an der Gesamtbevölkerung entspricht) ausgegangen werden.
    Dadurch sinkt der nach deiner Methode berechnete BIP-Wachstumseffekt auf die Hälfte und beträgt somit rund 0,6%. Das BIP pro Kopf sinkt sogar. Dies ist nicht verwunderlich, da das Kapitalwachstum hinter dem Arbeitsangebotswachstum zurück bleibt und dadurch die Produktion pro Kopf fällt.
    Den Vergleich mit den Effekten von Freihandelsabkommen wie TTIP oder CETA finde ich wenig angebracht. Zwar ist es auch dort so, dass es im Inland GewinnerInnen und VerliererInnen gibt, der Gesamteffekt für alle InländerInnen ist aber nach herrschender Lehrmeinung so gut wie immer positiv. Dies trifft im Falle der Zuwanderung hingegen nicht zu.
    In deiner Analyse berechnest du, wenn auch einen geringen, aber jedenfalls positiven Einkommenseffekt für die InländerInnen. Von dir wurde allerdings die Tatsache, dass vor allem in den ersten Jahren nach Zuwanderung die Arbeitslosigkeit sehr hoch und die Erwerbstätigkeit sehr gering ist, wahrscheinlich bewusst, außer Acht gelassen. Die Praxis zeigt, dass die Integration der zugewanderten Personen in den Arbeitsmarkt mehrere Jahre in Anspruch nimmt.
    Aufgrund des guten österreichischen Sozialsystems stehen, natürlich nur unter bestimmten Auflagen, den zugewanderten Personen verschiedene Sozialleistungen zu. Diese müssen aus den Steuereinnahmen der Erwerbspersonen finanziert werden. Neben dem bereits von dir skizzierten Einkommenstransfer von inländischer Arbeit zu Kapital kommt es somit zu einem weiteren Transfer von InländerInnen zu zugewanderten Personen und zwar nicht nur deshalb, weil die InländerInnen Arbeitseinkünfte erwirtschaften und der Lohnsatz sinkt (wie du bereits beschrieben hast). Dieser Transfer fällt erst dann weg, wenn die zugewanderten Personen im selben Ausmaß zum Steueraufkommen beitragen wie diese Sozialleistungen empfangen.
    Eine positive Aussage ist, dass das BIP aufgrund der Zuwanderung steigt. Ob der Effekt vor allem für InländerInnen, welche ihr Einkommen vorwiegend aus ihrer Erwerbstätigkeit generieren, positiv ist, lässt sich aufgrund des Einkommenstransfers von inländischer Arbeit zu Kapital und von InländerInnen zu zugewanderten Personen nicht jedenfalls bejahen. Kurzfristig, d.h. in den nächsten Jahren, verzeichnen die InländerInnen höchstwahrscheinlich Einkommensverluste. Mit einer zunehmenden Integration der zugewanderten Personen in den Arbeitsmarkt, d.h. einem Anstieg der Erwerbsquote und einer Abnahme der Arbeitslosigkeit bei zugewanderten Personen, wird der für InländerInnen negative Effekt wahrscheinlich abnehmen. Der Faktor Arbeit wird aber trotzdem weiterhin der Verlierer aus diesem Prozess sein.
    Werden Modelle zur Abschätzung von Auswirkungen herangezogen, ist es im Diskurs wichtig, auch auf die Schwachstellen und die im Modell nicht berücksichtigten Faktoren hinzuweisen. Vor allem beim Thema Zuwanderung erscheint mir dies wichtig, da sonst die Gefahr besteht, dass die Aussagen der Modelle zu weit von der wahrgenommenen Realität der BerichtsempfängerInnen abweicht und die Aussagen der WirtschaftswissenschafterInnen nicht glaubhaft sind.
    Deine Darstellung zeigt schön, dass das BIP durch Zuwanderung steigt, was teilweise als Argument für keine Einschränkung der Zuwanderung gebracht wird. Meine Ausführung zeigt aber, dass das BIP pro Kopf wahrscheinlich sinkt. Die Verteilungswirkung im Modell legt weiters offen, dass es für einen großen Teil der Bevölkerung aus ökonomischen Überlegungen heraus rational ist, gegen mehr Zuwanderung aufzutreten. Beim aktuellen Asylthema in Österreich sollten aber natürlich anstelle ökonomischer Überlegungen andere Argumente im Vordergrund stehen.

  3. Pingback: Die Gegenfinanzierung von Steuerreformen: Eine Pi-mal-Daumen-Rechnung | Graz Economics Blog

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